Am 1. Juni werden Mitglieder der deutschen Minderheit – wie alle Bürger der Republik Polen – an der zweiten, entscheidenden Runde der Präsidentschaftswahlen teilnehmen.
Um ihnen eine bewusste Wahlentscheidung zu erleichtern, hat die Führung des VdG beiden Kandidaten – Karol Nawrocki und Rafał Trzaskowski – Fragen gestellt zu ihrem Verhältnis zur Multikulturalität, zur Akzeptanz nationaler Minderheiten, zur Vision der zukünftigen deutsch-polnischen Beziehungen, zur Bereitschaft, das Minderheitengesetz zu ändern, sowie zum Prinzip der Gegenseitigkeit in internationalen Beziehungen im Hinblick auf nationale Minderheiten.
Diese Fragen blieben bislang unbeantwortet. Den Minderheitenwählern bleibt daher nur, in den bisherigen Erklärungen und Entscheidungen beider Kandidaten nach Antworten zu suchen.

Quelle: Facebook/Rafał Trzaskowski
Im auf der Website von Karol Nawrocki veröffentlichten Programm finden sich nicht nur keine Hinweise auf nationale Minderheiten – einschließlich der deutschen –, sondern auch kaum Aussagen zur Europäischen Union oder zur Haltung des von der PiS unterstützten „Bürgerkandidaten“ gegenüber der westlichen Welt. Stattdessen äußert sich das Programm klar zur nationalen Sicherheit.
Karol Nawrocki möchte, dass Polen eine Festung an der Ostflanke der NATO ist, eine Armee mit 300.000 Soldaten besitzt (für die er 5 Prozent des BIP – Amtsblatt für öffentliche Informationen – ausgeben möchte). Gleichzeitig erklärt er, dass unter seiner Präsidentschaft keine polnischen Soldaten in die Ukraine entsandt würden.
Seine Meinung zur EU lässt sich aus seinen Aussagen während des laufenden Wahlkampfes ableiten. Darin wiederholt er vor allem die Ankündigungen, den Green Deal aufzukündigen sowie den „Migrationspakt einseitig zu kündigen, um die polnischen Grenzen zu schützen“.
Zur EU äußert er sich oft mit Distanz und sogar Furcht gegenüber Brüssel und Berlin. So etwa: „Wir wollen den Binnenmarkt, wir wollen Entwicklung, wir wollen eine starke Stimme in der EU sein, aber wir wollen nicht, dass die Brüsseler Eliten über unsere Freiheit in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens entscheiden. Wir wollen nicht, dass Ideologien aus dem Westen in unsere Schulen und Bildungseinrichtungen gelangen, denn wir haben unsere eigene Identität. Wir sind Polen und wollen die Zukunft unseres Landes auf dem aufbauen, was für uns und unsere Vorfahren wichtig war – und was auch künftig wichtig bleiben sollte.“
Wie viele Politiker der PiS betont er stark, dass Polen einer anderen EU beigetreten sei, als der, in der es sich heute befinde – verbunden mit einer wiederkehrenden Angst vor Europa: „Die EU verändert sich vor unseren Augen, und wir wollen nicht, dass sie entscheidet, wie wir uns kleiden, was wir essen oder ob es in Polen illegale Migranten geben wird oder nicht – denn das sind grundlegende Fragen des polnischen Staates. Wir sind der EU beigetreten, nicht einem europäischen Superstaat mit zwei Hauptstädten: Brüssel und Berlin. Wir wollen im Binnenmarkt leben, nicht in einem gemeinsamen Superstaat“, sagte er in einem Interview.
Wie er sich im Falle seiner Wahl zum Präsidenten zur möglichen Änderung des Minderheitengesetzes stellen würde – insbesondere zur Anerkennung der schlesischen Sprache als Regionalsprache – lässt sich schwer vorhersagen. Doch nach den Erfahrungen mit dem derzeitigen Präsidenten fällt es schwer, hier optimistisch zu sein.

Quelle: Facebook/Karol Nawrocki
In diesem Punkt nimmt Rafał Trzaskowski eine diametral entgegengesetzte Position ein. Wie sein politisches Lager erklärt er – als zukünftiger Präsident der Republik Polen – seine Bereitschaft, die schlesische Sprache anzuerkennen.
„Wir sind stark als Nation, großartig in unserer Vielfalt“, sagte der Kandidat der Bürgerkoalition in Sandomierz. Er versprach unmissverständlich, dass er – sollte er Präsident werden – das Gesetz zur Anerkennung der schlesischen Sprache unterschreiben werde. Er betonte, dass die von Andrzej Duda abgelehnte Änderung des Gesetzes über nationale und ethnische Minderheiten, die die schlesische Godka als Regionalsprache anerkennt, von ihm gebilligt werde.
Während seines Aufenthalts in der Woiwodschaft Schlesien, in Rybnik – wo seine Frau Małgorzata geboren wurde – und wo er selbst als „Gorol“ Akzeptanz suchte, sagte Trzaskowski: „Ich habe von euch gelernt, was harte Arbeit, Respekt und Solidarität bedeuten – und was in Schlesien am wichtigsten ist: dass ein Schlesier niemals jemanden allein lässt. Das ist die größte Lektion, die ich in Schlesien bekommen habe.“
Was die Beziehungen zur EU und zum Westen betrifft, so vertritt Trzaskowski eine andere Philosophie als sein Gegner – frei von Angst und Vorurteilen. Seiner Meinung nach müsse man, um andere EU-Staaten zu mobilisieren, keine Feinde suchen, sondern Partner finden und Lösungen fördern, die für Polen vorteilhaft sind.
„Polen ist der EU beigetreten, weil wir wussten, dass wir als Teil westlicher Bündnisse selbst stärker sind“, schrieb er auf Facebook anlässlich des EU-Beitritts Polens.
„Das waren Jahre einer unglaublichen Entwicklung unseres Landes. Ja, vor allem dank der harten Arbeit der Polinnen und Polen. Aber auch dank der europäischen Fördermittel. Dank des Beitritts zum gemeinsamen Markt. Ist die EU perfekt? Nein. Muss sie reformiert werden? Ja. Aber der 1. Mai ist der Jahrestag eines der wichtigsten Ereignisse in der jüngeren politischen Geschichte unseres Landes – eine Art zweiter Fall des Eisernen Vorhangs. Die feste Verwurzelung im demokratischen Westen – wie fundamental das ist, sieht man heute besonders deutlich angesichts der russischen Aggression gegen die benachbarte Ukraine.“
Die Haltung zur Europäischen Union ist nicht das einzige deutlich unterscheidbare Feld zwischen beiden Kandidaten. Für viele Wähler sind auch ihre weltanschaulichen Erklärungen von großer Bedeutung. Karol Nawrocki ist in seinem Programm eindeutig:
„Christliche Werte sind eines der drei Fundamente der europäischen Gemeinschaft, gegen die die EU-Ideologie kämpft (…)“, schreibt er. „Als zukünftiger Präsident der Republik Polen werde ich für die Religionsfreiheit eintreten. Aber ich werde nicht zulassen, dass in Polen und Europa vergessen wird, dass christliche Werte eines der Fundamente unseres Lebens sind.“
Rafał Trzaskowski erklärte schon im vorherigen Präsidentschaftswahlkampf in einem Interview mit Onet: „Ich bin kein Antiklerikaler. Es ist PiS, die versucht, mich in diese Rolle zu drängen. Ich habe großen Respekt vor der Tradition und vor der Kirche. Aber wenn ich sehe, wie sich die Bischofskonferenz die Thesen der PiS-Propaganda zu eigen macht, dann trifft mich das als Katholiken schmerzhaft. (…) Ich habe den Hierarchen gesagt, dass ich keine weltanschauliche oder sexuelle Revolution einzuführen gedenke.“
Auf der Wahlkampfseite von Rafał Trzaskowski heißt es in der Rubrik „Mein Plan für Polen“: „Gesunder Menschenverstand sollte jeden Bereich des gesellschaftlichen Lebens leiten. Wir wollen Pragmatismus mit Fürsorge für die Bürger verbinden, um soziale, wirtschaftliche und kulturelle Sicherheit zu gewährleisten und gleichzeitig für die Zukunft Polens zu sorgen.“
Der Präsidentschaftskandidat kündigt außerdem die Liberalisierung des Abtreibungsrechts und die Unterstützung des In-vitro-Programms an.
Am Sonntag werden die Wähler die Erklärungen der Kandidaten mit ihren politischen Entscheidungen und Lebensstilen abgleichen müssen – und dann Verstand und Gewissen einsetzen, um ihre Stimme abzugeben.
Krzysztof Ogiolda
Der Autor ist Journalist und Kolumnist der Wochenzeitung „O!Polska“.